Einsamkeit betrifft immer mehr Menschen – quer durch alle Altersgruppen und sozialen Milieus. Ob jung oder alt, berufstätig oder im Ruhestand: Wer keine tragfähigen Beziehungen hat, fühlt sich oft ausgeschlossen oder alleingelassen. Dieses Gefühl kann ernsthafte Folgen für die seelische und körperliche Gesundheit haben. Die gesellschaftliche Bedeutung von Einsamkeit wächst, wie Studien und Erfahrungen aus der Praxis zeigen.
Gleichzeitig suchen immer mehr Menschen Gesprächspartner*innen in der digitalen Welt. Sprachbasierte Künstliche Intelligenz wie Chatbots, Sprachassistenten oder Avatare sind längst Teil des Alltags. Was früher Zukunftsvision war, ist heute Realität: Mensch-Maschine-Kommunikation wird zunehmend normal. Menschen lassen sich von Maschinen zuhören, beraten oder üben Kommunikation – ohne auf reale Gesprächspartner angewiesen zu sein.
Doch Technik kann menschliche Probleme nicht lösen. Sie kann unterstützen und Anstöße geben, aber echte Beziehungen, Mitgefühl und soziale Verantwortung bleiben Aufgaben von Menschen.
Warum ist Einsamkeit ein gesellschaftliches Thema?
Einsamkeit wird in ihrer gesellschaftlichen Tragweite häufig unterschätzt. Sie betrifft Menschen in allen Lebensphasen – von Jugendlichen bis hin zu Senior*innen – und ist dabei unabhängig von äußeren Faktoren wie Berufstätigkeit, Familienstand oder Wohnort. Entscheidend ist nicht die bloße Anzahl an Kontakten, sondern vielmehr deren Qualität und die subjektive Erfahrung von Zugehörigkeit. Wer sich in Gruppen nicht wirklich integriert oder angenommen fühlt, kann sich trotz zahlreicher sozialer Begegnungen tief einsam fühlen. Dabei kann Einsamkeit sowohl vorübergehend als auch dauerhaft auftreten – Letzteres mit erheblichen gesundheitlichen und psychischen Folgen. Deshalb ist es wichtig, Einsamkeit nicht als individuelles Versagen zu werten, sondern als komplexes soziales Phänomen ernst zu nehmen.
Fachlich wird meist zwischen emotionaler, sozialer und kollektiver Einsamkeit unterschieden. Emotionale Einsamkeit beschreibt das Fehlen enger, vertrau-ensvoller Bindungen – etwa zu Partner*innen oder engen Freund*innen. Soziale Einsamkeit bezieht sich auf das Gefühl, keine ausreichende Einbindung in ein soziales Netzwerk zu haben, wie zum Beispiel in Freundeskreise, Nachbarschaft oder Vereine. Kollektive Einsamkeit schließlich bezeichnet das Erleben eines Mangels an Zugehörigkeit zu einer größeren Gemeinschaft oder gesellschaftlichen Gruppe. Besonders gefährlich ist chronische Einsamkeit. Studien legen nahe, dass sie ähnlich gesundheitsschädlich sein kann wie starker Tabakkonsum, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht und mit einer höheren Anfälligkeit für Depressionen, Schlafstörungen sowie kognitivem Abbau im Alter einhergeht. Von chronischer Einsamkeit spricht man, wenn Menschen über einen Zeitraum von eineinhalb bis zwei Jahren hinweg anhaltend unter einem intensiven Gefühl von Einsamkeit leiden – unabhängig davon, ob sie objektiv allein sind oder nicht.
Einsamkeit hat auch gesellschaftliche Folgen: Sie kann anfälliger machen für Populismus, Verschwörungserzählungen und soziale Isolation. Politische Maßnahmen wie das „Ministerium gegen Einsamkeit“ in England zeigen, dass das Problem ernst genommen wird. Erfahrungen aus Telefonseelsorge und Besuchsdiensten verdeutlichen den großen Gesprächsbedarf. Viele Menschen suchen regelmäßig das Gespräch, oft wiederholt und aus purer Sehnsucht nach verbaler Interaktion und Nähe. Gleichzeitig stoßen diese Angebote an ihre Grenzen – gerade nachts, wo Gesprächsmöglichkeiten fehlen.
Künstliche Intelligenz als digitaler Gesprächspartner*in
KI kann heute schon Gesprächspartner*innen simulieren. Systeme wie Replika oder ChatGPT zeigen: Viele Menschen nutzen sie, um gehört zu werden. Die KI reagiert freundlich, stellt Rückfragen, passt sich sprachlich an und ist jederzeit verfügbar – auch dann, wenn andere nicht erreichbar sind. Dabei stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob die verbale Interaktion mit KI ein Zukunftsthema sein wird – sie ist bei bestimmten Gruppen bereits Teil der medialen Lebenswelt und fest im Alltag verankert.
Die Studie „Reducing Loneliness and Social Isolation of Older Adults Through Voice Assistants[1] zeigt, dass Sprachsysteme wie Alexa das Wohlbefinden älterer Menschen verbessern können. Durch regelmäßige Interaktion berichteten viele Nutzer*innen von einer Verringerung ihrer Einsamkeit.
KI bietet also eine niedrigschwellige Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen – ohne Angst vor Bewertung. Sie kann Kommunikationsfähigkeit fördern, Gesprächsanlässe schaffen oder Beratungsstellen entlasten, indem sie Menschen anspricht, die sich sonst mehrfach an Seelsorgedienste wenden würden. Auch emotionale Rückmeldungen sind möglich – doch echte Empathie bleibt eine menschliche Fähigkeit.
Damit KI im sozialen Kontext hilfreich sein kann, muss sie gezielt trainiert werden. Ohne spezialisierte Daten bleibt sie oberflächlich und kann komplexe Situationen nicht erfassen. Auch hängt die Qualität der KI-Antworten entscheidend vom Kontext ab, den Menschen durch ihre Eingaben (Prompts) setzen. Wer lernt, Fragen präzise zu stellen, kann die Antworten erheblich verbessern. Das erfordert ein gewisses Verständnis dafür, wie man Fragen stellt, um hilfreiche und passende Antworten zu erhalten. Ein häufiger Fehler besteht darin, KI-Antworten einfach hinzunehmen, auch wenn sie zu lang, unübersichtlich oder wenig verständlich wirken. Dabei lässt sich die Qualität der Antworten oft schon durch kleine Hinweise in der Eingabe deutlich verbessern – etwa durch die Bitte, sich kurz zu fassen oder in einfachen Worten zu antworten.
Risiken der Mensch-Maschine-Kommunikation
Trotz aller Chancen bleibt der Einsatz von KI im sozialen Bereich umstritten. Zu den zentralen Herausforderungen gehört vor allem der Umstand, dass KI keine echte Empathie empfinden kann und auch nicht weiß, wann es besser ist zu schweigen. Sie bleibt ein technisches System, das menschliches Mitgefühl lediglich nachahmt. Auch wenn KI das Gefühl von Nähe vermitteln kann, fehlt ihr jede Form von Verbindlichkeit und Verantwortung. Sie bleibt ein Werkzeug – kein Ersatz für echte zwischenmenschliche Beziehungen.
Ein besonderes Augenmerk gilt sogenannten parasozialen Verbindungen: Dabei handelt es sich um einseitige Beziehungen, die Menschen etwa zu Medienfiguren oder digitalen Assistenten aufbauen. Durch wiederholte Interaktion – etwa durch tägliche Gespräche mit Sprachassistenten – entsteht das Gefühl von emotionaler Nähe und Zugehörigkeit. Das kann entlastend wirken, birgt aber auch Risiken. So besteht die Gefahr, dass solche künstlichen Beziehungen reale soziale Kontakte zunehmend ersetzen. Unrealistische Erwartungen, Frustration bei Fehlfunktionen oder sogar ein obsessives Nutzungsverhalten sind mögliche Folgen, die sorgfältig reflektiert werden müssen. Zudem wurden vor allem bei Kindern negative Auswirkungen auf Sprachverhalten, kritisches Denken und Empathie festgestellt, was in unserem Beitrag „Künstliche Intelligenz in der Familie“ nachzulesen ist.
Hinzu kommt, dass KI dazu neigt, Nutzer*innen in ihrer Sichtweise zu bestärken, statt zum Perspektivwechsel anzuregen. Diese Bestätigungshaltung kann dazu führen, dass Menschen in ihrer Meinung verharren, statt neue Impulse zu erhalten. Mögliche Vorurteile und stereotype Denkmuster in den Trainingsdaten, die von KI übernommen und weitergegeben werden, können dieses Problem verschärfen. Solche Verzerrungen können nicht nur diskriminierend wirken und bestehende Vorurteile verstärken, sondern auch das Selbstwertgefühl der Nutzer*innen beeinträchtigen und alltagsnahe, oft unbewusste abwertende Bemerkungen oder Handlungen – sogenannte Mikroaggressionen[2] – hervorrufen: insbesondere dann, wenn bestimmte Gruppen regelmäßig negativ dargestellt oder übersehen werden.
Nicht zu unterschätzen sind auch weitere ethische Fragestellungen, insbesondere im Hinblick auf Datenschutz und Privatsphäre. Gespräche mit KI werden häufig aufgezeichnet oder verarbeitet, was sensible Informationen betreffen kann. Wer mit einer Maschine spricht, weiß nie genau, wo diese Daten landen – oder wie sie weiterverwendet werden.
Zweifel bleiben schließlich auch bei der Frage, ob KI wirklich „zuhören“ kann. Letztlich verarbeitet sie Eingaben und spiegelt Inhalte wider – jedoch ohne echtes Verstehen. Wichtige Aspekte zwischenmenschlicher Kommunikation, wie das bewusste Gegenüberstellen, das Einordnen von Emotionen oder das achtsame Schweigen, bleiben bislang außen vor.
Perspektiven für eine Nutzung von KI gegen Einsamkeit
Künstliche Intelligenz kann ein ergänzendes Werkzeug sein, um Einsamkeit zu begegnen. Digitale Gesprächspartner können Brücken bauen und Hemmschwellen abbauen, kurzfristig unterstützen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen oder dabei helfen, individuelle Strategien gegen Einsamkeit zu entwickeln. Sie darf aber weder Beziehungen ersetzen, noch kann sie das Fachwissen von Therapeut*innen oder Seelsorger*innen ersetzen.
Dabei bewegen wir uns in einem hochkomplexen Spannungsfeld: Einerseits müssen wir sehr skeptisch sein, wenn KI Empathie und Verständnis lediglich simuliert – ohne echtes Gegenüber, ohne Verantwortung, ohne emotionale Tiefe. Andererseits können wir einem einsamen Menschen nicht pauschal absprechen, dass eine solche Interaktion hilfreich war – wenn das subjektive Gefühl besteht, gehört oder verstanden worden zu sein, kann das allein schon entlastend wirken. Diese Ambivalenz erfordert eine differenzierte gesellschaftliche Diskussion, die weder technikgläubig noch reflexhaft ablehnend ist.
Der sinnvolle Einsatz braucht deshalb klare Rahmenbedingungen, ethische Leitlinien und Bedienkompetenz. Menschen müssen lernen, mit KI umzugehen – nicht als Ersatz für Beziehungen, sondern als Möglichkeit, neue Wege der Ansprache zu testen. Am Ende bleibt die Verantwortung beim Menschen: zuhören, Beziehungsräume schaffen, Nähe zulassen – das kann keine Maschine übernehmen.
[1] Marziali, R. A. et al. (2024): Reducing Loneliness and Social Isolation of Older Adults Through Voice Assistants: Literature Review and Bibliometric Analysis. Journal of Medical Internet Research, 26, e50534. DOI: 10.2196/50534. Verfügbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38498039/ [Zugriff: 01.10.2025].
[2] Wenzel, K. et al. (2023): Can Voice Assistants Be Microaggressors? Cross-Race Psychological Responses to Failures of Automatic Speech Recognition. In: Proceedings of the 2023 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems.
Verfügbar unter: https://dl.acm.org/doi/10.1145/3544548.3581357 [Zugriff: 19.09.2025].
von Tobias Albers-Heinemann, Lukas Spahlinger, Raimar Kremer



