Dieser Beitrag ist im Rahmen der AI Impact Workshops „KI und Familie“ mit Nele Hirsch entstanden und wurde von Tobias Albers-Heinemann und Lukas Spahlinger geschrieben.
Künstliche Intelligenz (KI) ist längst nicht mehr nur ein Thema für Technikbegeisterte oder Zukunftsforscher*innen. Sprachassistent*innen wie Alexa, individualisierte Inhalte auf YouTube, automatisierte Spielzeuge oder Chatbots – viele Familien begegnen KI täglich, oft ohne es zu bemerken. Doch was bedeutet diese Entwicklung für das Familienleben? Welche Chancen bietet KI – und wo lauern Risiken? Und wie kann Familienbildung in diesem Spannungsfeld Orientierung geben?
Zwischen Neugier und Kontrollverlust
Für Kinder und Jugendliche ist KI oft nichts Besonderes mehr. Sie nutzen KI-gestützte Systeme selbstverständlich: Sprachbefehle an den Fernseher, automatisierte Lernhilfen, Spiele mit KI-Logik. Die Technik reagiert, versteht – oder tut zumindest so – und scheint immer verfügbar. Erwachsene Personen hingegen begegnen dieser Entwicklung häufig mit gemischten Gefühlen: auf der einen Seite Faszination über das, was möglich ist. Auf der anderen Seite Unsicherheit darüber, was diese Systeme tatsächlich können, welche Daten sie sammeln und wie sie Wahrnehmung und Verhalten beeinflussen.
Ein zentrales Spannungsfeld ist dabei der Kontrollverlust: Wer versteht noch, wie Empfehlungsalgorithmen funktionieren? Wer entscheidet, welche Inhalte Kinder sehen – und wie sehr beeinflussen KI-gesteuerte Systeme das Denken und Fühlen?
Risiken, Beziehungen und pädagogische Verantwortung
KI ersetzt zunehmend soziale Funktionen im Familienalltag. Kinder erzählen dem Sprachassistenten vom Tag, lassen sich trösten oder spielen Rollenspiele mit Chatbots. Solche Formen der emotionalen Bindung an KI werfen neue pädagogische Fragen auf: Was macht das mit der Entwicklung von Empathie und sozialem Verhalten? Wie kann man Kindern helfen, zwischen echter Beziehung und algorithmischer Reaktion zu unterscheiden?
Dabei entsteht oft eine sogenannte parasoziale Beziehung – ein einseitiges emotionales Verhältnis zu einer virtuellen Figur oder Stimme, das sich für Kinder echt anfühlt, obwohl keine echte Gegenseitigkeit besteht. Diese Beziehungstypen kennt man aus dem Fernsehen oder von Influencer*innen, doch durch KI werden sie interaktiv erlebbar und emotional intensiver. Kinder können das Gegenüber als „Freund*in“ empfinden, obwohl es sich nur um eine datenbasierte Reaktion handelt. Diese Form der Bindung kann tröstlich sein – birgt aber auch das Risiko, reale Beziehungen zu verdrängen oder emotionale Kompetenzen zu verzerren.
Ein aktueller Bericht der Transparency Coalition (2024) zeigt deutlich, wie problematisch der Einsatz von KI-gestützten Begleiter-Chatbots für Kinder sein kann. In Tests reagierten verschiedene populäre Chatbots unangemessen auf hochsensible Themen: Manche antworteten auf Hinweise zu Missbrauch, Selbstverletzung oder Einsamkeit nicht einfühlsam oder verweigerten Hilfe, andere gaben sogar gefährliche oder irreführende Ratschläge. In einem Fall bot ein Chatbot auf die Frage eines Kindes nach Hilfe bei häuslicher Gewalt lediglich einen Witz als Antwort an. In einem anderen Fall erklärte ein Chatbot bereitwillig, wie man unbemerkt ein Konto mit falschem Alter erstellt.
Zusätzlich zeigt eine aktuelle Studie der Universität Cambridge mit dem Titel „Effects of smart voice control devices on children: current challenges and future perspectives“ (2024), dass auch Sprachassistent*innen wie Alexa oder Siri die soziale und sprachliche Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können. Kinder, die häufig mit solchen Systemen kommunizieren, übernehmen die knappen, befehlsartigen Sprachmuster der Technik. Gleichzeitig fehlen ihnen dabei wichtige Erfahrungen in echter sozialer Interaktion – etwa, wie man um etwas bittet, auf andere eingeht oder ein Gespräch gemeinsam gestaltet. Forschende sprechen von einem möglichen Verlust an Empathie und kommunikativer Feinfühligkeit. Auch hier zeigt sich: KI kann zwar als funktionales Werkzeug dienen, ersetzt aber keine zwischenmenschliche Kommunikation – schon gar nicht in den prägenden Entwicklungsphasen von Kindern.
Solche Beispiele zeigen: Diese Systeme sind oft nicht in der Lage, Risiken zu erkennen oder altersgerecht zu reagieren. Sie wirken dialogfähig, doch sie verstehen weder Kontext noch Verantwortung. Für Kinder, die sich mit echten Sorgen an solche Programme wenden, kann das fatale Folgen haben.
Gleichzeitig dürfen diese Entwicklungen nicht nur negativ betrachtet werden. KI kann für Kinder in vielen Kontexten sinnvoll sein – vorausgesetzt, der Einsatz erfolgt zielgerichtet und reflektiert. Sprachassistenzsysteme etwa können beim Lernen unterstützen, schwierige Begriffe erklären oder beim Vokabellernen helfen – und das ohne Ermüdung oder Bewertung. Kinder, die gerne selbstständig entdecken, profitieren davon, in ihrem eigenen Tempo voranzukommen. Auch in der Sprachentwicklung oder beim Erwerb von Alltagswissen kann KI eine sinnvolle Ergänzung sein, insbesondere wenn sie in einen pädagogisch begleiteten Rahmen eingebettet ist.
Solche Nutzungsszenarien können Neugier wecken, Selbstvertrauen fördern und Zugänge zu Bildung erweitern – gerade auch dann, wenn menschliche Bezugspersonen im Moment nicht verfügbar sind. Dennoch bleibt entscheidend, dass KI nicht als Ersatz für echte soziale Beziehungen oder professionelle pädagogische Begleitung verstanden wird. Denn so hilfreich und unterstützend KI sein kann: Sie ist kein Gegenüber mit Empathie, sondern ein datenbasiertes Werkzeug. Nur durch bewusste Begleitung, klare Regeln und ein verstehendes Umfeld kann der Einsatz von KI im Kinderzimmer wirklich gelingen.
KI in Familien ist also nicht nur eine pädagogische Herausforderung, sondern auch eine Frage elterlicher Medienkompetenz sowie der digitalen Kinderschutzpolitik. Es braucht klare gesetzliche Regeln, transparente Prüfverfahren und medienpädagogische Begleitung – damit Kinder in ihrer Neugier gestärkt und nicht in ihrer Schutzbedürftigkeit übersehen werden.
Eltern am Limit – Familienbildung in der Pflicht
Viele Elternteile fühlen sich im Umgang mit KI überfordert. Sie wissen oft nicht, wie KI-Systeme funktionieren, welche Technologien ihre Kinder im Alltag tatsächlich nutzen – und mit welchen Risiken diese verbunden sein können. Begriffe wie Deepfakes, algorithmische Beeinflussung oder parasoziale Beziehungen sind für viele Neuland. Während Kinder längst spielerisch mit Chatbots interagieren, Sprachassistent*innen Befehle geben oder mit KI-generierten Inhalten auf Social Media konfrontiert sind, fehlen den Erwachsenen oft die Worte und das Wissen, um dies einzuordnen. Es entsteht ein Bildungs- und Kommunikationsvakuum: Eltern merken, dass sie mitreden sollten – wissen aber nicht wie. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, genau das zu tun: Orientierung geben, Mediennutzung begleiten und Risiken erkennen. Damit diese Verantwortung nicht zur Überforderung wird, braucht es Angebote, die aufklären, entlasten und Eltern in ihrer Rolle stärken.
Gerade hier setzt Familienbildung an. Sie kommt ins Spiel, Sie kann helfen, Orientierung zu schaffen – nicht durch Technikangst oder Belehrung, sondern durch reflektierte und dialogische Bildungsangebote. Ziel ist es, Familien zu stärken, Wissen aufzubauen und Austausch zwischen Elternteilen, Kindern und weiteren Bezugspersonen zu ermöglichen. Und: Eltern dürfen auch selbst noch lernen – eine Haltung, die gerade in der digitalen Bildung zentral ist.
Medienpädagogische Leitlinien für den Umgang mit KI in der Familie
Aus medienpädagogischer Sicht lassen sich vier zentrale Handlungsfelder benennen, die Orientierung geben können, wie ein sinnvoller und kindgerechter Umgang mit KI im Familienalltag gestaltet werden kann:
- Medienkompetenz stärken: Viele Eltern wissen kaum, was genau ihre Kinder digital nutzen oder wie KI-Systeme funktionieren. Hier braucht es niedrigschwellige, lebensnahe Bildungsangebote, die aufzeigen, wo und wie KI im Alltag wirkt, wie Algorithmen Inhalte beeinflussen und welche Daten verarbeitet werden. Nur wer versteht, was hinter der Technik steckt, kann sie auch kritisch einordnen – und Kindern beim Lernen helfen, dies ebenfalls zu tun.
- Kinder ernst nehmen: Kinder erleben KI oft ganz selbstverständlich und nutzen sie spielerisch. Sie stellen Fragen, lassen sich etwas erklären oder entdecken neue kreative Tools. Diese Neugier sollte nicht gebremst, sondern begleitet werden – durch Erwachsene, die zuhören, nachfragen und mitdenken. Entscheidend ist dabei, Kinder nicht zu bevormunden, sondern sie altersgerecht und auf Augenhöhe zu unterstützen.
- Extreme vermeiden: Zwischen „KI ist gefährlich!“ und „KI löst alle Probleme!“ liegt die Realität. Familienbildung muss Raum für Unsicherheiten bieten, für Fragen, für differenzierte Haltungen. Reflexion bedeutet, gemeinsam mit Kindern und Eltern zu überlegen, was passt – statt starre Regeln oder Verbote aufzustellen.
- Vielfalt ermöglichen: Nicht alle Familien haben die gleichen Ressourcen. Deshalb muss Familienbildung inklusiv sein – sprachlich verständlich, kulturell sensibel, barrierefrei und unabhängig vom technischen Vorwissen. Zugänge zu digitaler Bildung dürfen nicht an Ausstattung oder Bildungsgrad scheitern. KI darf kein weiterer Spaltkeil werden, sondern muss als Anlass dienen, Bildung gerechter und näher an der Lebenswelt zu gestalten.
Zwischen Technik und Beziehung
KI ist nicht neutral – weder technisch noch gesellschaftlich. Sie spiegelt Machtverhältnisse, reproduziert Stereotype und verändert Kommunikationsprozesse. In der Familie trifft sie auf weitere besonders sensible Felder: emotionale Bindung, Erziehung und Bildung. Umso wichtiger ist es, dass Familien nicht allein gelassen werden.
Statt Angst zu schüren oder einfache Antworten zu geben, braucht es offene Räume für Austausch, Bildung und kritisches Mitdenken. Familienbildung kann diese Räume schaffen – und so dazu beitragen, dass KI nicht zur unkontrollierten Fremdmacht im Kinderzimmer wird, sondern zum gestaltbaren Bestandteil eines selbstbestimmten Alltags.
Damit das gelingt, braucht es aber auch strukturelle und inhaltliche Stärkung der Familienbildung selbst: Fachkräfte müssen fortgebildet werden, um mit aktuellen Entwicklungen rund um KI Schritt zu halten. Es braucht Materialien, Konzepte und Methoden, die verständlich, praxisnah und auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten sind. Zudem müssen Ressourcen bereitgestellt werden – personell, zeitlich und finanziell –, damit Bildungsangebote nicht nur punktuell, sondern dauerhaft und niedrigschwellig stattfinden können. Nur wenn Familienbildung selbst über digitale und medienpädagogische Kompetenz verfügt, kann sie der zentrale Ort werden, an dem gesellschaftlicher Wandel nicht nur beschrieben, sondern gestaltet wird.
Darüber hinaus braucht es ein abgestimmtes Zusammenspiel mit weiteren Bildungsorten wie Schule, Kita oder außerschulischer Jugendarbeit. Auch diese Institutionen stehen vor der Herausforderung, Kinder und Jugendliche im Umgang mit KI zu begleiten – und sie benötigen dazu ebenso gut geschulte Fachkräfte, zeitgemäße Materialien und klare medienpädagogische Leitlinien. Familienbildung kann hier Impulse geben, aber nicht alles allein leisten. Es braucht gemeinsame Strategien und politische Unterstützung, um Kinder in einer zunehmend digitalen Welt umfassend zu stärken.